Urteil des Oberlandesgericht Karlsruhe vom 06.04.2023, 14. Zivilsenat, Aktenzeichen: 14 U 256/21

Leitsatz

1. Der (einseitige) Verstoß einer Anbieterin von Online-Glücksspielen gegen § 4 Abs. 4 GlüStV vom 15.12.2011 (GlüStV 2012) führt zu einer Nichtigkeit der Spielverträge nach § 134 BGB. Denn gemäß § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 war das Online-Angebot von Casinospielen in Baden-
Württemberg – im Unterschied zu dem Angebot von Zahlungsdienstleistern – von vornherein auf eine in Baden-Württemberg unerlaubte Tätigkeit gerichtet (Abgrenzung zu BGH, Beschluss vom 13.09.2022 – XI ZR 515/21, Rn. 10 ff., juris).

2. Da es sich bei § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 um auslaufendes Recht handelt und die hierzu bislang ergangene obergerichtliche Rechtsprechung einheitlich ist, wobei abweichende Literaturmeinungen vereinzelt geblieben sind, liegen die Voraussetzungen einer Revisionszulassung
gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht vor ( aA OLG Braunschweig, Urteil vom 23.02.2023 – 9 U 3/22, Rn. 160 ff., juris).

 

Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom
21.09.2021, Az. 2 O 296/20, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil und die angefochtene Entscheidung sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig
vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch den Kläger gegen Sicherheitsleistung
in Höhe von 110 % des aufgrund der Urteile jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden,
wenn der Kläger nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des
jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

 

Gründe
I.
1 Der Kläger begehrt von der Beklagten die Rückzahlung von Verlusten, die er bei der Teilnahme an Online-Glücksspielen erlitten hat.
2 Die Beklagte mit Sitz in Malta ist Betreiberin von Online-Casinos bzw. Online-Glücksspielen. Sie verfügte hierzu über eine nach maltesischem Recht wirksame Erlaubnis. Über eine Glücksspiellizenz nach baden-württembergischem Recht verfügte die Beklagte nicht.
3 Die Beklagte bot jedenfalls auch in den Jahren 2017 und 2018 Online-Glücksspiele über ihre deutschsprachige Internetdomain https://…com an. Der Kläger war mit seiner E-Mail-Adresse unter der Kundennummer … bei der Beklagten als Spieler registriert.
4 Im Zeitraum vom 12.01.2017 bis 09.04.2018 nahm der Kläger an von der Beklagten angebotenen Online-Glücksspielen, namentlich an Automatenspielen (sog. „einarmiger Bandit“) teil. Die Höhe der vom Kläger erbrachten Spieleinsätze war zwischen den Parteien erstinstanzlich streitig. Die Abbuchungen und Auszahlungen erfolgten über ein in Deutschland geführtes Konto des Klägers.
5 Die Beklagte hat erstinstanzlich behauptet,
6 bei der Registrierung auf ihrer Plattform hätten Kunden den auf ihrer Website abrufbaren allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) durch Setzen eines Hakens zustimmen müssen.
7 Die AGB hätten unter anderem die folgenden Regelungen enthalten:
8 „Ziffer 2.3. Die Teilnahme an den Spielen ist volljährigen Personen möglich (18 Jahre oder die gesetzliche Volljährigkeit an seinem Wohnort, wobei das höhere Alter gilt), und zwar in Ländern, in denen die Spiele nicht gesetzlich untersagt sind. …
9 Ziffer 2.8. Es ist die alleinige Verantwortung des Nutzers, den Rechtsstatus von Internet-Spielen im Land seines Wohnsitzes zu bestimmen und sich entsprechend zu verhalten. Die Verfügbarkeit der Webseite in einem bestimmten Rechtsraum stellt keine Einladung seitens „…“ dar, die Dienstleistungen der Webseite zu nutzen. Das Unternehmen übernimmt keinerlei Verantwortung für jegliche Handlungen durch Nutzer in Ländern, in denen Internet-Spiele illegal sind und/oder Handlungen, die diese Bestimmung der Geschäftsbedingungen verletzen….
10 Ziffer 2.16. Die Spiele und das Online-Spielsystem des Unternehmens unterliegen den Gesetzen und Regelungen von Malta.“
11 Der Kläger hat erstinstanzlich bestritten,
12 dass die von der Beklagten vorgelegten allgemeinen Geschäftsbedingungen im streitgegenständlichen Zeitraum den angegebenen Wortlaut gehabt hätten. Jedenfalls habe der Kläger diese bei der Registrierung auf der Website der Beklagten nicht gelesen. Zum Zeitpunkt seiner Teilnahme an den Online-Glücksspielen sei er davon ausgegangen, dass diese legal seien. Erst durch spätere Recherchen im Internet habe er erfahren, dass Online-Glücksspiele in Baden-Württemberg gesetzlich verboten gewesen seien. Am Online-Glücksspiel der Beklagten habe er von seiner Wohnung in … aus über seinen dortigen PC bzw. sein Mobiltelefon teilgenommen. Er habe insgesamt 55.645 € für die Spiele eingesetzt, Gewinne seien von der Beklagten in Höhe von insgesamt 15.640,30 € an ihn ausgeschüttet worden.
13 Wegen der weiteren erstinstanzlichen Feststellungen und den erstinstanzlich gestellten Anträgen wird auf das angefochtene Urteil ergänzend Bezug genommen.
14 Das Landgericht Waldshut-Tiengen hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, an den Kläger 40.004,70 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 16.03.2021 zu zahlen.
15 Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten.
16 Sie trägt vor,
17 vorliegend sei entgegen der Auffassung des Landgerichts maltesisches Recht anwendbar. Wirksamkeit und Zustandekommen der Rechtswahl bestimmten sich gemäß Art. 3 Abs. 5 i. V. m. Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO nach dem hypothetischen Vertragsstatut, d. h. dem Recht das anwendbar sei, wenn die Rechtswahlklausel wirksam sei – vorliegend also dem Recht von Malta. Nach dem Recht von Malta sei die Rechtswahl wirksam.
18 Der Glücksspielstaatsvertrag diene nicht dem Verbraucherschutz, sondern anderen Schutzzwecken. Selbst wenn der Kläger als Verbraucher angesehen würde, fehle es damit jedenfalls an einer Vorschrift des nationalen Rechts, die ihn gerade in seiner Eigenschaft als Verbraucher schützen solle. Selbst wenn jedoch den Vorschriften des Glücksspielstaatsvertrags ein international zwingender (Verbraucherschutz-)Charakter zugesprochen und daraus die Nichtigkeit der streitgegenständlichen Spielverträge folgen würde, bestimmte sich die hier allein streitgegenständliche Frage der Rückerstattung der nach diesen Verträgen gezahlten und verlorenen Spieleinsätze jedenfalls dennoch gemäß Art. 12 Abs. 1 lit. e Rom I-VO nach dem maltesischen Vertragsstatut und nicht nach einem deutschen Bereicherungsstatut.
19 Auch wenn es hierauf im Ergebnis nicht ankomme, da die vermeintlichen Ansprüche des Klägers jedenfalls zivilrechtlich ausgeschlossen seien, seien die pauschalen verwaltungs- und europarechtlichen Ausführungen des Landgerichts rechtsfehlerhaft. Das Landgericht verkenne die (Verwaltungs-)Rechtslage, die in Deutschland durch einen komplexen Schwebezustand gekennzeichnet gewesen sei, in dem die deutschen Behörden Sportwettenangebote seit 2012 und weitere Formen des Online-Glücksspiels (wie z. B. virtuelle Automatenspiele) jedenfalls ab Herbst 2020 geduldet hätten. Das Rechtsinstitut der öffentlich-rechtlichen Duldung begründe indes einen (auch rückwirkenden) Vertrauensschutz und führe faktisch zu einer Erlaubniswirkung. Diese öffentlich-rechtliche Rechtslage müssten auch die Zivilgerichte wegen des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung beachten.
20 Selbst wenn die im streitgegenständlichen Zeitraum angebotenen virtuellen Automatenspiele der Beklagten fälschlicherweise als nach deutschem Recht nicht erlaubt angesehen würden, wäre dies unbeachtlich. Denn auf Grund der Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 56 AEUV könnten der Beklagten jedenfalls nicht Vorschriften aus einer (inhaltlich inzwischen ohnehin überholten) alten Fassung des Glücksspielstaatsvertrages (GlüStV) entgegengehalten werden. Das insoweit bestehende Internetverbot des GlüStV 2012 sei nicht geeignet bzw. unverhältnismäßig gewesen und die unterschiedliche Regelung von im Internet angebotenen Sportwetten einerseits und ebenfalls im Internet angebotener weiterer Glücksspielarten andererseits inkohärent im Sinn der EuGH-Rechtsprechung. § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 sei somit unionsrechtswidrig. Demnach habe die vom Landgericht angenommene Nichtigkeit der zwischen den Parteien abgeschlossenen Spielverträge gemäß § 134 BGB nicht bestanden, da kein Verstoß gegen wirksames Gesetzesrecht vorgelegen habe.
21 Selbst wenn das deutsche Recht anwendbar wäre, stünde dem Kläger – entgegen der Ansicht des Landgerichts – kein Anspruch aus § 812 Abs. 1 BGB zu, da sich der Kläger der Einsicht in die Gesetzeswidrigkeit seines Tuns zumindest leichtfertig verschlossen habe. Dies genüge für den Ausschluss nach § 817 Satz 2 BGB. In zivilrechtlicher Hinsicht verkenne das Landgericht, dass ein Vorsatz des Klägers im Sinne von § 285 StGB vorliegend nicht erforderlich gewesen sei, um zu einem Ausschluss der Leistungskondiktion nach § 817 Satz 2 BGB zu gelangen. Ausreichend sei Leichtfertigkeit. Dass der Kläger nach diesen Maßstäben leichtfertig gehandelt habe, ergebe sich daraus, dass die Beklagte in
ihren AGB, deren Lektüre und Akzeptanz der Kläger vor der Spielteilnahme bestätigt habe, darauf hingewiesen habe, dass die Teilnahme an den Spielen nur in Ländern möglich sei, „in denen die Spiele nicht gesetzlich untersagt seien“ und dass es in der alleinigen Verantwortung des Nutzers liege, „den Rechtsstatus von Internet-Spielen im Land seines Wohnsitzes zu bestimmen und sich entsprechend zu verhalten.“
22 Zudem habe es in den AGB geheißen:
23 „… Limited betreibt sein Geschäft in Übereinstimmung mit den Gesetzen von Malta, ist in Malta lizensiert und wird von der Malta Gaming Authority (MGA) (…) kontrolliert.“
24 Gerade dieser Hinweis, wonach die Beklagte ihr Geschäft in Übereinstimmung mit den Gesetzen von Malta betreibe und über eine Lizenz in Malta verfüge, hätte beim Kläger – gerade in Kombination mit den weiteren Hinweisen, wonach Online-Glücksspiel in einigen
Ländern verboten sei – die Frage aufwerfen müssen, ob denn das Fehlen einer deutschen Lizenz kein Problem darstelle. Insoweit sei nicht nachvollziehbar, wie das Landgerichtzu dem gegenteiligen Schluss habe gelangen können, dass sich die Beklagte mit dem Hinweis auf ihre maltesische Glücksspiellizenz „in Widerspruch“ zu den Hinweisen auf die Illegalität von Online-Glücksspielen in manchen Ländern gesetzt habe (LGU S. 15).
25 Vollkommen unberücksichtigt habe das Landgericht zudem den Vortrag der Beklagten dazu gelassen, dass die Frage der Legalität des Online-Glücksspiels in den deutschen Medien seit Jahren breit diskutiert werde und dass sich im Internet zahlreiche, über Suchmaschinen, wie Google, ohne Weiteres auffindbare Beiträge zu dieser Thematik fänden.
26 Unberücksichtigt habe das Landgericht auch gelassen, dass der Kläger zweifelsohne glücksspielerfahren sei. Denn dass der Kläger den subjektiven Tatbestand des § 285 StGB erfüllt habe, ergebe sich bereits aus dem Urteil. Zwar gehöre zum Vorsatz bei § 285 StGB auch das Wissen um das Fehlen einer Lizenz. Auf Seiten des Klägers habe diese Kenntnis aber vorgelegen. Der Kläger habe aufgrund der Angaben der Beklagten auf ihrer Homepage und in ihren AGB gewusst, dass die Beklagte nur über eine maltesische Lizenz verfügt habe. Eine teleologische Reduktion von § 817 Satz 2 BGB komme nicht in Betracht, da sie dogmatisch nicht begründbar sei.
27 Auch ein Anspruch des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 bzw. § 284 StGB, wie vom Kläger behauptet, komme nicht in Betracht: Die streitgegenständlichen Normen des Glücksspielstaatsvertrags in der Fassung des Ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrages vom 15.12.2011 („GlüStV 2012“) seien rein öffentlich-rechtlicher Natur und schon nicht individualschützend.
28 Ein Schadensersatzanspruch wäre darüber hinaus im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems schlicht nicht tragbar, sondern würde vielmehr zu einem Ausufern der deliktischen Haftung führen. Es wäre auch widersprüchlich, den Spieler als geschützt im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB anzusehen, obwohl er selbst – jedenfalls objektiv – gegen die Rechtsordnung verstoßen habe. Schließlich bestehe auch kein kausaler und ersatzfähiger Schaden, da der Kläger – wie bei jedem anderen Glücksspiel auch – bewusst mit Verlustrisiko gespielt habe.
29 Im Übrigen wären sowohl bereicherungs- als auch deliktsrechtliche Ansprüche gemäß § 242 BGB zu versagen. Ein Spieler, der jahrelang spiele und sich Gewinne ausbezahlen lasse, verhalte sich widersprüchlich, wenn er anschließend seine Einsätze zurückverlange.

30 Die Beklagte beantragt,
31 das am 21.09.2021 verkündete Urteil des Landgerichts Waldshut-Tiengen, Az. 2 O 296/20, abzuändern und die Klage abzuweisen.

32 Der Kläger beantragt,
33 die Berufung zurückzuweisen.
34 Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und teilweiser Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags.
35 Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21.03.2023 ergänzend Bezug genommen.

II.
36 Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.
37 Das Landgericht hat die Beklagte zu Recht auf Rückzahlung von 40.004,70 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 16.03.2021 verurteilt, denn der Kläger hat aus § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB einen Rückzahlungsanspruch in Höhe seiner geleisteten Spieleinsätze abzüglich der von der Beklagten ausgezahlten Gewinne. Die zwischen dem Kläger und der Beklagten abgeschlossenen Glücksspielverträge sind nach dem hier anwendbaren deutschen Recht nichtig gemäß § 134 BGB, weswegen die Beklagte zur Rückzahlung verpflichtet ist. Der Rückzahlungsanspruch des Klägers ist nicht nach § 817 Satz 2 BGB ausgeschlossen. § 242 BGB steht der Geltendmachung des Anspruchs nicht entgegen.

A.
38 Das Landgericht ist zutreffend von der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit gemäß Art. 18 Abs. 1 VO (EU) 1215/2012 (Brüssel Ia-VO) ausgegangen, was die Beklagte mit der Berufung nicht mehr angreift. Zur Begründung nimmt der Senat Bezug auf die Ausführungen des Landgerichts (LGU S. 4).

B.
39 1. Das Landgericht ist zu Recht von der Anwendbarkeit deutschen Rechts für den geltend gemachten Rückzahlungsanspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB ausgegangen.
40 a) Nach Art. 6 Abs. 1 lit b) Rom-I-VO unterliegt ein Verbrauchervertrag dem Recht des Staates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern der Unternehmer seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit auf diesen Staat ausrichtet und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt.
41 Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) sind Verbraucher natürliche Personen, die zu einem privaten Zweck einen Vertrag schließen, der nicht einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. Der Begriff des Verbrauchers
ist eng auszulegen und nach der Stellung dieser Person innerhalb des konkreten Vertrages in Verbindung mit dessen Natur und Zielsetzung und nicht nach der subjektiven Stellung dieser Person zu bestimmen, so dass ein und dieselbe Person im Rahmen bestimmter Geschäfte als Verbraucher und im Rahmen anderer als Unternehmer angesehen werden kann. Es fallen nur Verträge unter diese Sonderregelung, die eine Einzelperson ohne Bezug zu einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit oder Zielsetzung und unabhängig von einer solchen schließt (BGH, Urteil vom 09.02.2017 – IX ZR 67/16, Rn. 13, juris).
42 b) Dass der Kläger in diesem Sinn als Verbraucher gehandelt hat und die Tätigkeit der Beklagten (auch) auf den deutschen Markt ausgerichtet war, wird von der Beklagten mit der Berufung nicht mehr angegriffen.
43 c) Die Parteien haben keine (wirksame) abweichende Rechtswahl getroffen. Denn die in Ziffer 2.16 der AGB der Beklagten enthaltene Rechtswahl zu Gunsten des maltesischen Rechts ist gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam.
44 aa) Nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 Rom-I-VO darf eine Rechtswahl dem Verbraucher nicht den Schutz der Bestimmungen entziehen, von denen nach dem ohne die Rechtswahl anzuwendenden Recht nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf.
45 Eine in AGB enthaltene Rechtswahlklausel ist missbräuchlich, wenn sie den Eindruck vermittelt, auf den Vertrag sei nur das Recht des Mitgliedstaats des Gewerbetreibenden anwendbar, ohne ihn darüber zu unterrichten, dass er nach Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO auch den Schutz der zwingenden Bestimmungen des Rechts genießt, das ohne diese Klausel anzuwenden wäre (EuGH, Urteil vom 28.7.2016 – C -191/15, NJW 2016, 2727 Rn. 71, beck-online).
46 Dementsprechend sind die §§ 305 ff. BGB auf Verbraucherverträge, die Verbraucher mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland geschlossen haben, anzuwenden (BGH, Urteil vom 19.07.2012 – I ZR 40/11, Rn. 33, juris). Eine Rechtswahlklausel, die keinen Hinweis auf die grundsätzlich fortbestehende Anwendbarkeit zwingender Bestimmungen des deutschen Rechts enthält, ist nicht klar und verständlich im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 36).
47 bb) Gemessen hieran ist die Rechtswahlklausel in den AGB der Beklagten unwirksam, sie ist nicht klar und verständlich. Denn sie erweckt den falschen Eindruck, auf das gesamte Vertragsverhältnis sei ausschließlich maltesisches Recht anwendbar, ohne einen Hinweis auf die fortbestehende Anwendbarkeit zwingender Bestimmungen des deutschen Rechts.
48 Die zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist – entgegen der Auffassung der Beklagten – nicht auf „die Besonderheiten des deutschen Apothekenrechts“ beschränkt, sondern betrifft allgemein die Überprüfung von Rechtswahlklauseln in Verbraucherverträgen anhand des Rechts des gewöhnlichen Aufenthalts des Verbrauchers, hier also nach deutschem Recht. Dies ergibt sich im Übrigen auch aus der zitierten Rechtsprechung des EuGH.
49 d) Gemäß Art. 12 Abs. 1 lit. e) Rom-I-VO ist das Vertragsstatut auch maßgebend für die Folgen der Nichtigkeit eines Vertrags, und zwar unabhängig davon, ob das Rückabwicklungsverhältnis nach dem Vertragsstatut dem Vertragsrecht oder dem Bereicherungsrecht zugewiesen wird (vgl. nur BeckOGK/Weller, Rom I-VO, Stand: 01.10.2020, Art. 12, Rn. 43).
50 2. Der Kläger hat aus § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB einen Anspruch auf Rückzahlung (jedenfalls) in Höhe der geltend gemachten 40.004,70 €.
51 a) Die Beklagte hat von dem Kläger die von ihm eingezahlten 55.645 € erlangt, wovon das Landgericht zu Recht ausgegangen ist. Hiergegen wird beklagtenseits mit der Berufung nichts erinnert.
52 b) Dies erfolgte durch Leistung(en) des Klägers, was nicht in Streit steht.
53 c) Die Leistung(en) des Klägers erfolgte(n) ohne Rechtsgrund, denn die mit der Beklagten geschlossenen Verträge sind nach § 134 BGB wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig.
54 aa) Die Vereinbarung verstößt gegen § 4 Abs. 4 GlüStV 2012, wonach das Veranstalten und das Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet verboten ist.
55 Zwar besteht nach der Neuregelung des Glücksspielstaatsvertrags 2021 inzwischen die Möglichkeit der Erlaubnis für öffentliche Glücksspiele der streitgegenständlichen Art im Internet (§ 4 Abs. 4 Satz 1 GlüStV 2021). Für die Beurteilung der Nichtigkeit des Spielvertrages
nach § 134 BGB ist jedoch auf den Zeitraum 12.01.2017 bis 09.04.2018 abzustellen, in dem der Kläger das Angebot der Beklagten genutzt hat. Die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts richtet sich grundsätzlich nach dem zum Zeitpunkt seiner Vornahme geltenden Recht. Für den Fall einer nachträglichen Aufhebung eines Verbotsgesetzes ist anerkannt, dass die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts, das zuvor unter Verstoß gegen ein aufgehobenes Gesetz abgeschlossen wurde, hiervon grundsätzlich unberührt bleibt (vgl. nur BGH, Urteil vom 03.11.1953 – I ZR 155/52, NJW 1954, 549).
56 Etwas anderes kommt ausnahmsweise nur dann in Betracht, wenn das Rechtsgeschäft gerade in der Erwartung und für den Fall geschlossen wird, dass das Verbotsgesetz aufgehoben werden wird. Diese Voraussetzungen liegen hier ersichtlich nicht vor (vgl. nur
OLG Dresden, Urteil vom 27.10.2022 – 10 U 736/22, Rn. 36, juris).
57 Im Übrigen verfügt die Beklagte nach ihrem eigenen Vortrag bis heute nicht über eine entsprechende Erlaubnis nach deutschem Recht, mag sie sich auch darum bemühen.
58 bb) Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, die Regelung des § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 habe gegen Art. 56 AEUV verstoßen.
59 (1) Ziele des Staatsvertrages waren nach § 1 GlüStV 2012 das Entstehen von Glücksspielsucht und Wettsucht zu verhindern und die Voraussetzungen für eine wirksame Suchtbekämpfung zu schaffen, nämlich durch ein begrenztes, eine geeignete Alternative zum nicht erlaubten Glücksspiel darstellendes Glücksspielangebot den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken sowie der Entwicklung und Ausbreitung von unerlaubten Glücksspielen in Schwarzmärkten entgegenzuwirken, den Jugend- und den Spielerschutz zu gewährleisten, sicherzustellen, dass Glücksspiele ordnungsgemäß durchgeführt, die Spieler vor betrügerischen Machenschaften geschützt, die mit Glücksspielen verbundene Folge- und Begleitkriminalität abgewehrt werden und Gefahren für die Integrität des sportlichen Wettbewerbs beim Veranstalten und Vermitteln von Sportwetten vorzubeugen.
60 (2) Die Dienstleistungsfreiheit des Art. 56 EUV steht nach der Rechtsprechung des EuGH einer nationalen gesetzlichen Regelung nicht entgegen, sofern sie – wie hier – auf Erwägungen der Sozialpolitik und der Betrugsvorbeugung gestützt ist. Der Umstand, dass es eventuell in anderen Mitgliedstaaten gesetzliche Regelungen über die Voraussetzungen der Veranstaltung von Glücksspielen und der Teilnahme daran gibt, die weniger einschränkend als die in der streitigen gesetzlichen Regelung vorgesehenen sind, ist für die Vereinbarkeit der letztgenannten Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht unerheblich. Es obliegt nach der Rechtsprechung des EuGH den nationalen Behörden zu beurteilen, ob es im Rahmen des verfolgten Zieles notwendig ist, Tätigkeiten dieser Art vollständig oder teilweise zu verbieten, oder ob es genügt, sie zu beschränken und zu diesem Zweck mehr oder weniger strenge Kontrollen vorzusehen (EuGH, Urteil vom 11.09.2003 – C-6/01, juris).
61 (3) Der Umstand, dass von verschiedenen Arten von Glücksspielen einige einem staatlichen Monopol und andere einer Regelung unterliegen, nach der private Veranstalter eine Erlaubnis benötigen, führt für sich genommen nicht dazu, dass diese Maßnahmen ihre
Rechtfertigung verlieren. Derart divergierende rechtliche Regelungen ändern nämlich als solche nichts an der Eignung eines solchen staatlichen Monopols zur Verwirklichung des mit seiner Errichtung verfolgten Ziels, Anreize für die Bürger zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen zu vermeiden und die Spielsucht zu bekämpfen (EuGH, Urteil vom 08.09.2010 C-316/07, C-358/07 bis C-360/07, C-409/07 und C-410/07, juris).
62 (4) Das Internetverbot des § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 steht mit Verfassungs- und Unionsrecht im Einklang. Ein generelles Internetverbot für öffentliches Glücksspiel ist mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit und dem allgemeinen Gleichheitssatz sowie mit Unionsrecht vereinbar. Dass nach § 4 Abs. 5 des GlüStV 2012 der Eigenvertrieb und die Vermittlung von Lotterien sowie die Veranstaltung und Vermittlung von Sport- bzw. Pferdewetten im Internet erlaubt werden konnten, führt zu keiner anderen rechtlichen Bewertung. Denn die Ausnahmen vom Internetverbot für Lotterien sowie Sport- und Pferdewetten nach Maßgabe des § 4 Abs. 5 GlüStV 2012 wurden durch die vom Gesetzgeber angestrebte Kanalisierung des Glücksspiels und die geringere Suchtgefahr bei den ausnahmsweise zulässigen Spielformen sachlich gerechtfertigt (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 26.10.2017 – 8 C 14/16, Rn. 28 ff., juris).
63 (5) Das Verbot, Glücksspiele im Internet anzubieten oder zu vermitteln, verstieß nicht gegen das europarechtliche Kohärenzgebot. Denn es war nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts widerspruchsfrei auf die Verwirklichung der damit verfolgten Ziele ausgerichtet. Es steht zum einen außer Zweifel, dass die in der Begründung des Staatsvertrags angegebenen Ziele auch die tatsächlich verfolgten Ziele waren und dass die Länder mit ihm nicht in Wahrheit fiskalische Interessen verfolgten. Zum anderen wurde die Erreichbarkeit der verfolgten Ziele nicht durch andere Regelungen und deren tatsächliche Handhabung konterkariert (BVerwG, Urteil vom 01.06.2011 – 8 C 5/10, Rn. 36,
juris).
64 (6) Ein vollständiges Verbot von Glücksspielen im Internet war den genannten Gemeinwohlzielen dienlich. Daran ändern die Ausführungen in dem von der Beklagten zitierten „Endbericht des Landes Hessen zur Evaluierung des Glücksspielstaatsvertrages“ in der Fassung vom 10.04.2017 nichts (ebenso KG, Urteil vom 06.10.2020 – 5 U 72/19, juris Rn. 44 f.). Soweit darin auf Seite 40 dargestellt wird, dass die gesetzgeberische Intention mit Blick auf die Ziele des GlüStV 2012 nicht erfüllt worden sei und dass in den zurückliegenden Jahren der illegale Online-Casino- und Pokermarkt weitergewachsen sei, beschreibt dies nur ein Defizit bei der Durchsetzung des Verbots. Dadurch wird jedoch die grundsätzliche Eignung der Maßnahme nicht in Frage gestellt.
65 (7) Durch den Umlaufbeschluss vom 08.09.2020 der Chefinnen und Chefs der Staatsund Senatskanzleien der Länder sind die unerlaubten Online-Angebote von Casino- und Automatenspielen nicht im Wege eines Verwaltungsakts legalisiert worden. Die Chefinnen und Chefs der Staats- und Senatskanzleien der Länder haben sich lediglich auf ein koordiniertes Vorgehen in der Glücksspielaufsicht verständigt, ohne verbindlich vorzugeben, dass gegen bestimmte unerlaubte Glücksspielangebote nicht mehr vorgegangen werden soll (vgl. auch BGH, Urteil vom 22.07.2021 – I ZR 194/20, Rn. 54, juris). Eine (rückwirkende) Legalisierung kann hieraus nicht abgeleitet werden.
66 (8) Ein etwaiges strukturelles Vollzugsdefizit dahingehend, dass nicht konsequent gegen jede Art von im Internet angebotenen Glücksspielen behördlich vorgegangen sein mag, führt nicht zur Unzulässigkeit des Internetverbots im gesamten sonstigen Glücksspielbereich. Denn nach der Rechtsprechung des EuGH bezieht sich die Kohärenzprüfung auf die hier – zweifelsfrei gegebene – grundsätzliche Eignung einer Beschränkung
zur Zielerreichung. Diese Eignung wird nicht schon durch jede abweichende Regelung in einem quantitativ noch so unbedeutenden Bereich in Frage gestellt (BGH, Urteil vom 28.09.2011 – I ZR 92/09, Rn. 59 f., juris).
67 (9) Der Senat vermag auch nicht der Annahme der Beklagten zu folgen, der „Evaluationsbericht der obersten Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder nach § 32 GlüStV vom 28. April 2017“ belege, dass dem Gesetzgeber mit der Legalisierung und Regulierung des Internet-Glücksspiels ein milderes und sogar zur Verwirklichung der Gesetzesziele besser geeignetes Mittel zur Verfügung gestanden hätte. Denn auf Seite 32 des Berichts wird die Einschätzung referiert, dass das Internetverbot für Casino- und Pokerspiele dem Anliegen gerecht werde, die mit ihm verfolgten Ziele in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen.
68 (10) Schließlich kann eine Inkohärenz des § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 nicht damit begründet werden, dass der GlüStV, der am 01.07.2021 in Kraft getreten ist, (auch) die Veranstaltung von Online-Casinospielen bei Vorliegen einer entsprechenden Erlaubnis zulässt (vgl. § 4 Abs. 1 und Abs. 4 GlüStV 2021).
69 Ausweislich der Gesetzesbegründung war Anlass der Änderung, dass sich trotz des bestehenden weitgehenden Internetverbots ein Schwarzmarkt im Internet gebildet hat, auf dem virtuelle Automatenspiele, Online-Poker und Online-Casinospiele angeboten und von Spielern nachgefragt worden sind, dessen Bekämpfung sich als schwierig erwiesen habe (vgl. LT-BW, Drs. 16/9487, S. 65). In zahlreichen Studien sei festgestellt worden, dass die Teilnahme an Online-Glücksspielen häufiger als bei anderen Spielformen mit problematischem bzw. pathologischem Spiel assoziiert bzw. die Teilnahme an Online-Glücksspielen ein Prädiktor für das Vorliegen glücksspielbezogener Probleme sei (vgl. LTBW, Drs. a. a. O. S. 66). Wesentliches Ziel der Glücksspielregulierung bleibe die Unterbindung unerlaubter Glücksspielangebote, welche für Spieler mit zusätzlichen und nicht übersehbaren Gefahren verbunden seien. Mit dem Ziel der Kanalisierung solle zum einen die Nachfrage spielaffiner Personen in Richtung der legalen Angebote gelenkt werden und zum anderen innerhalb der erlaubten Angebote eine Lenkung in Richtung der insbesondere aus suchtpräventiven Gesichtspunkten weniger gefahrenträchtigen Spielformen erfolgen. Um die Ziele des Staatsvertrages künftig besser zu erreichen, sollten daher auch Erlaubnisse für die Veranstaltung von Online-Casinospielen, virtuellen Automatenspielen und Online-Poker erteilt werden, welche ein inhaltlich begrenztes Angebot dieser Spielformen ermöglichten. Hierdurch solle spielwilligen Personen, deren Nachfragen sich nicht in weniger gefährliche Spielformen kanalisieren ließen, eine weniger gefährliche Alternative zum bisherigen Schwarzmarkt geboten werden, in der Schutzmaßnahmen gegen Spielsucht, gegen Manipulationen und andere betrügerische Aktivitäten vorgeschrieben seien und tatsächlich durchgeführt werden würden, sodass ein kontrolliertes Spiel in geordneten Bahnen ermöglicht werde (vgl. LT-BW, Drs. a. a. O. S. 68).
70 Hintergrund der neuen Regelung war daher nicht, dass europarechtliche Bedenken aufgekommen wären. Der Gesetzgeber sah sich vielmehr veranlasst, aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse Regeländerungen vorzunehmen, vorrangig mit dem Ziel der
Schwarzmarktbekämpfung und zur Effektivitätssteigerung aufsichtsrechtlicher Maßnahmen. Ein solches Vorgehen des Gesetzgebers lässt aber entgegen der Auffassung der Beklagten keine Rückschlüsse dahingehend zu, wonach die Vorgängerregelung rechtswidrig
gewesen wäre.
71 Ebenso wenig lässt sich hieraus bzw. auf eine in Hinblick auf die geänderte Rechtslage etwaige erfolgte (nunmehrige) Ruhendstellung von Aufsichtsverfahren durch die Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichte eine Rückwirkung auf die hier maßgeblichen
Zeitpunkte im Zeitraum vom 12.01.2017 bis 09.04.2018 herleiten. Dass derzeit in Hinblick auf die neue Rechtslage und die zumindest möglich erscheinenden Genehmigungen von Online-Casinospielen seitens der Aufsichtsbehörden die weitere Entwicklung abgewartet
wird, führt nicht zu einer rückwirkenden Legalisierung nach alter Rechtslage verbotener Glücksspiele.
72 cc) § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 ist ein Verbotsgesetz. Der (einseitige) Verstoß der Beklagten hiergegen führt zu einer Nichtigkeit der Spielverträge nach § 134 BGB (so auch OLG Köln, Urteil vom 31.10.2022 – 19 U 51/22, Rn. 52, juris; OLG Dresden, Urteil vom
27.10.2022 – 10 U 736/22, Rn. 35, juris; OLG München, Beschluss vom 20.09.2022 – 18 U 538/22, juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 08.04.2022 – 23 U 55/21, Rn. 47, juris; OLG Braunschweig, Urteil vom 23.02.2023 – 9 U 3/22, Rn. 95 ff., juris; BeckOGK/Vossler, BGB, Stand: 01.09.2020, § 134 Rn. 219; Staudinger/Schönenberg-Wessel, BGB, Neubearbeitung 2021, Stand: 28.02.2022, § 762 Rn. 44a, juris; vgl. auch Segna, Die Rückforderung von Verlusten beim illegalen Online-Glücksspiel, WM 2022, 1909 ff., juris; Schaper, Die gerichtliche Rückforderung verlorener Glücksspieleinsätze, WM 2022, 1917 ff., juris; Scholer/Heintz, Online-Glücksspiel: Rückzahlung verlorener Spieleinsätze, jM 2023, 60 ff., juris; a.A. Koenig/Wittum, Heads I win, tails you lose“ – Private Enforcement glücksspielrechtlicher Verbotsnormen durch zivilgerichtliche Spielerklagen ?, ZfWG 2023, 2 ff., juris).
73 (1) Die Frage, ob der Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot nach § 134 BGB zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts führt, ist nach dem Zweck des Verbotsgesetzes zu beantworten. Dabei hat der Verstoß gegen ein Verbotsgesetz in der Regel die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts nur dann zur Folge, wenn sich das Verbot an beide Seiten richtet. In besonderen Fällen kann sich die Nichtigkeit allerdings auch aus einem einseitigen Verstoß ergeben, falls nämlich der Zweck des Verbotsgesetzes anders nicht zu erreichen ist und die rechtsgeschäftlich getroffene Regelung nicht hingenommen werden darf. Eine solche Ausnahme liegt etwa vor, wenn der angestrebte Schutz des Vertragspartners die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts erfordert oder wenn der Erfüllungsanspruch auf eine unerlaubte Tätigkeit gerichtet ist. Reicht es dagegen aus, dem gesetzlichen Verbot durch verwaltungs- und/oder strafrechtliche Maßnahmen Nachdruck zu verleihen, so hat die zivilrechtliche Sanktion der Nichtigkeit daneben keinen Platz (BGH, Beschluss vom 13.09.2022 – XI ZR 515/21, BKR 2022, 811 ff., Rn. 11, beck-online).
74 Während das Anbieten und Veranstalten von Glücksspielen im Internet entgegen § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 weit überwiegend als Verstoß gegen ein Verbotsgesetz angesehen wird, gilt dies für eine Zahlungsanordnung gegenüber einem Zahlungsdienstleister dagegen nach allgemeiner Meinung in der Regel auch dann nicht, wenn die Zahlung an einen Anbieter von illegalen Glücksspielen erfolgen soll (vgl. hierzu nur MüKoBGB/Armbrüster, BGB, 9. Aufl. 2021, § 134 Rn. 175).
75 (2) Gemessen hieran folgt aus dem (einseitigen) Verstoß der Beklagten die Nichtigkeit der Glücksspielverträge, denn nur eine zivilrechtliche Nichtigkeit nach § 134 BGB kann zur Verwirklichung der Ziele des Gesetzgebers führen.
76 (a) (Gleichrangige) Kernziele des hier maßgeblichen Glücksspielstaatsvertrags waren ausweislich der Erläuterungen zu dem GlüStV 2012 (LT-BW, Drs. 15/1570, S. 48 ff.) die Vermeidung und Bekämpfung von Glücksspielsucht (§ 1 Satz 1 Nr. 1), die Kanalisierung
und Begrenzung des Glücksspielangebotes (§ 1 Satz 1 Nr. 2), der Jugend- und Spielerschutz (§ 1 Satz 1 Nr. 3) sowie die Sicherstellung eines fairen Spiels und der Schutz vor Kriminalität (§ 1 Satz 1 Nr. 4). An den bereits früher verfolgten Zielen der Regulierung der Glücksspiele und den wichtigsten Instrumenten zu ihrer Durchsetzung sollte – mit einer neuen Akzentuierung – grundsätzlich festgehalten werden.
77 Ausweislich der Erläuterungen sollte bei dem Ziel der Kanalisierung und Begrenzung des Glücksspielangebotes in § 1 Satz 1 Nr. 2 GlüStV 2012 der Aspekt der Schwarzmarktbekämpfung hervorgehoben werden. Dem werde einerseits durch eine Präzisierung der Eingriffs- und Vollstreckungsbefugnisse und die Effektuierung der länderübergreifenden Zusammenarbeit der Behörden der Glücksspielaufsicht, andererseits durch ein legales Glücksspielangebot, das eine geeignete Alternative zum illegalen Glücksspiel darstelle und darstellen könne, Rechnung getragen. Insoweit sei sowohl auf die Öffnung des Internets für von den zuständigen deutschen Behörden erlaubte Lotterie- und Sportwettangebote als auch auf die probeweise Vergabe einer begrenzten Zahl von Sportwettkonzessionen zu verweisen. Die Kanalisierung bezwecke nicht allein, die Nachfrage spielaffiner Personen in Richtung der legalen Angebote, sondern bei diesen wiederum in Richtung der insbesondere aus suchtpräventiven Gesichtspunkten weniger gefahrenträchtigen Spielformen zu lenken.
78 Bei allen Regelungen, die unverändert fortgälten, könne auf die Erläuterungen des am 01.01.2008 in Kraft getretenen Glücksspielstaatsvertrages zurückgegriffen werden.
79 (b) Bereits § 4 Absatz 4 GlüStV 2008 enthielt das generelle Verbot der Veranstaltung und Vermittlung öffentlicher Glücksspiele im Internet und erstreckte sich auf alle Arten der im Staatsvertrag geregelten Glücksspiele, insbesondere auf Lotterien, Sportwetten und den Bereich der Spielbanken.
80 Ausweislich der Erläuterungen zum GlüStV 2008 (LT-BW, Drs. 14/1939, S. 35) sollte damit eine wesentliche Forderung erfüllt werden, die das Bundesverfassungsgericht aufgestellt hatte. Insbesondere vor dem Hintergrund der rechtlich gebotenen Ausrichtung des Wettangebotes am Ziel der Bekämpfung der Wettsucht hat das Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit der Wettteilnahme über das Internet als bedenklich angesehen, zumal gerade dieser Vertriebsweg keine effektive Kontrolle des Jugendschutzes gewährleiste. Die Anonymität des Spielenden und das Fehlen jeglicher sozialen Kontrolle ließen es unter dem Aspekt der Vermeidung von Glücksspielsucht als notwendig erscheinen,
den Vertriebsweg „Internet“ über den Sportwettenbereich hinaus in Frage zu stellen. Zur Sicherstellung der Ziele des § 1 GlüStV 2008 sei es daher geboten, dem Glücksspielbereich den Vertriebsweg „Internet“ grundsätzlich zu untersagen. Damit werde zudem eine Forderung der Suchtexperten erfüllt, die ein konsequentes Verbot von Internet-Wetten und Online-Glücksspielen verlangten.
81 (c) Demgemäß war ein Kernziel sowohl des GlüStV 2012 als auch des GlüStV 2008 mit Blick (auch) auf den Schutz des einzelnen Spielers gerade das Angebot an (illegalen) Casinospielen über das Internet möglichst zu unterbinden. Generell sollte das Glücksspielangebot
begrenzt werden, insbesondere (auch) durch ein „Internetverbot“, um den hierin begründeten besonderen Gefahren gerade der Online-Casinospiele – nämlich der Anonymität des Spielenden und des Fehlens jeglicher sozialen Kontrolle – gezielt begegnen zu können.
82 (d) Das legitime Ziel des Gesetzgebers, das Glücksspielangebot zur Vermeidung der Spielsucht generell einzudämmen und insbesondere nach Möglichkeit Online-Casinospiele ganz zu untersagen, erfordert daher nach dem Dafürhalten des Senats zur effektiven Durchsetzung der Ziele die Annahme einer Nichtigkeit eines Vertrages, der gegen § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 verstößt.
83 (3) Etwas Anderes ergibt sich auch entgegen der Auffassung der Beklagten nicht aus dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 13.09.2022 – XI ZR 515/21.
84 (a) In dem dort entschiedenen Fall ging es um eine Klage gegen einen Zahlungsdienstleister, dessen Tätigkeit – im Unterschied zu der Tätigkeit der hiesigen Beklagten – nicht schlechthin unerlaubt war.
85 Denn nach der Regelung des § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 war das Online Angebot von Casinospielen in Baden-Württemberg nach damaliger Rechtslage nicht erlaubnisfähig und damit grundsätzlich verboten (vgl. auch BeckOGK/Vossler, BGB, Stand: 01.12.2022, § 134 Rn. 219). Das Angebot der Beklagten war daher im hier maßgeblichen Zeitraum von vornherein auf eine in Baden-Württemberg unerlaubte Tätigkeit gerichtet.
86 (b) Darüber hinaus konnte dem gesetzlichen Verbot durch verwaltungs- und/oder strafrechtliche Maßnahmen gerade kein hinreichender Nachdruck verliehen werden. In den Erläuterungen zum GlüStV 2021 (LT B-W, Drs. 16/9487, S. 65) heißt es, insbesondere, weil die Veranstaltung dieser [gemeint sind (auch) Online-Casinospiele] unerlaubten Spiele zumeist aus dem Ausland heraus über das Internet erfolgt seien, habe sich die Bekämpfung des Schwarzmarktes in den vergangenen Jahren [gemeint ist der Zeitraum der Geltung des GlüStV 2012] als schwierig erwiesen. Auch soweit unerlaubte Glücksspielangebote untersagt worden seien und obwohl Gerichte das behördliche Vorgehen bestätigt hätten, führten Glücksspielunternehmen ihre unerlaubten Angebote aus dem Ausland heraus weiter, wo sie sich dem Zugriff deutscher Behörden weitestgehend entziehen hätten können. Rechtsvergleichende Studien hätten ergeben, dass in allen Regulierungsmodellen, die zum Schutz vor den aus Glücksspielen erwachsenden Gefahren mehr als nur unwesentliche Einschränkungen vorsähen, Defizite bei der Rechtsdurchsetzung im Internet gegen unerlaubte Angebote bestanden hätten.
87 (c) Damit ist es gerade in Hinblick (auch) auf die nunmehr geltenden Regelungen des GlüStV 2021, der jetzt ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt vorsieht (vgl. § 4 Abs. 4 GlüStV 2021), aus Sicht des Senats unabdingbar, neben den zwar grundsätzlich möglichen, letztlich aber ebenfalls aller Voraussicht nach weiterhin ineffektiven aufsichts- und strafrechtlichen Maßnahmen gegenüber (insbesondere) ausländischen Anbietern von illegalen Online-Casinospielen eine zivilrechtliche Nichtigkeit nach § 134 BGB anzunehmen, wenn der Anbieter nicht über eine entsprechende Erlaubnis verfügt. Anderenfalls könnten die (neuen) Regelungen (weiterhin) unterlaufen werden. Denn wenn sich der illegal agierende Anbieter dem Risiko ausgesetzt sieht, dem Spieler die Einsätze gegebenenfalls zurückzahlen zu müssen, wird den gesetzgeberischen Vorgaben zusätzlich Nachdruck verliehen.
88 (d) Erst recht muss dies in einem Fall wie hier gelten, in dem eine öffentlich-rechtliche Erlaubnis von vornherein nicht möglich gewesen ist. Die zivilrechtliche Nichtigkeit des geschlossenen Vertrages dient nämlich – wie dargelegt – der effektiven Umsetzung der
gesetzgeberischen Vorgaben, die anders nicht erreicht werden kann.
89 (4) Dem kann nicht entgegengehalten werden, der Schutzzweck des § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 würde durch die Nichtigkeitsfolge unterlaufen, denn hierdurch entstünde für den Spieler ein Fehlanreiz, da er hierdurch animiert werde, risikolos Einsätze zu tätigen.
90 Zum einen übersieht diese Argumentation, dass im Fall einer fehlenden Nichtigkeit umgekehrt (auch) ein Anreiz für einen Anbieter unerlaubter Glücksspiele entstehen würde, wenn er den Einsatz behalten dürfte. Zum anderen kann solchen Bedenken im Einzelfall mit § 817 Satz 2 BGB begegnet werden.
91 (5) Ob die Parteien die Nichtigkeit kannten, ist für § 134 BGB ohne Belang. Auf die Kenntnis der Verbotswidrigkeit bzw. ein schuldhaftes Handeln kommt es diesbezüglich grundsätzlich nicht an (BeckOK BGB/Wendtland, BGB, Stand: 01.11.2022, § 134 Rn. 18).
92 d) Der Rückzahlungsanspruch des Klägers ist nicht nach § 817 Satz 2 BGB ausgeschlossen.
93 aa) Die Anwendung des § 817 Satz 2 BGB setzt voraus, dass der Leistende vorsätzlich gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen hat. Dem steht es – entgegen der Auffassung des Landgerichts – gleich, wenn er sich der Einsicht in das Verbotswidrige seines Handelns leichtfertig verschlossen hat (BGH, Urteil vom 10.01.2019 – IX ZR 89/18, Rn. 28, juris; OLG Braunschweig, Urteil vom 23.02.2023 – 9 U 3/22, Rn. 126, juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 08.04.2022 – 23 U 55/21, Rn. 52, juris).
94 Der Begriff der Leichtfertigkeit ist gesetzlich nicht definiert. Er ist in Anlehnung an den Begriff der groben Fahrlässigkeit zu bestimmen und bezeichnet damit ein gesteigertes Maß an Fahrlässigkeit (MüKoBGB/Grundmann, BGB, 9. Aufl. 2022, § 276 Rn. 92; vgl. auch MüKoStGB/Radtke, StGB, 4. Aufl. 2022, § 306c Rn. 25).
95 Grobe Fahrlässigkeit setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus (BGH, Urteil vom 15.12.2022 – VII ZR 292/21, Rn. 13, juris).
96 Der Nachweis eines Kondiktionsausschlusses nach § 817 Satz 2 BGB obliegt grundsätzlich dem Anspruchsgegner (BeckOK BGB/Wendehorst, BGB, Stand: 01.11.2022, BGB, § 817 Rn. 26), hier also der Beklagten.
97 bb) Gemessen an diesen Grundsätzen ist vorliegend weder ein vorsätzliches noch ein leichtfertiges Verhalten des Klägers nachgewiesen.
98 (1) Hinsichtlich des fehlenden Vorsatzes des Klägers ist der Senat an die Feststellungen des Landgerichts (LGU S. 14) nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden. Denn das Landgericht setzt sich in nicht zu beanstandender Weise mit den Angaben des Klägers auseinander,
die es als glaubhaft eingestuft hat. Der Kläger hat im Rahmen seiner persönlichen Anhörung durch das Landgericht ausweislich der erstinstanzlichen Sitzungsniederschrift angegeben, erst als er Mitte des Jahres 2019 recherchiert habe, habe er gehört, dass das alles nicht erlaubt gewesen sein solle. Soweit die Beklagte hiergegen einwendet, der Kläger habe aufgrund der Angaben der Beklagten auf ihrer Homepage und in ihren AGB gewusst, dass die Beklagte nur über eine maltesische Lizenz verfügt habe, was im Umkehrschluss nur bedeuten könne, dass die Beklagte über keine deutsche Lizenz verfügt habe, so vermag sie hiermit nicht durchzudringen. Selbst wenn dem Kläger bewusst gewesen wäre, dass die Beklagte (nur) über eine maltesische Lizenz verfügt hat, so bedeutet dies aus Sicht des Klägers nicht zwingend, dass eine solche Lizenz in Deutschland nicht zum Anbieten von Glücksspielen berechtigt.
99 (2) Ein leichtfertiges Handeln des Klägers ist ebenso wenig erwiesen.
100 (a) Ein leichtfertiges Handeln des Klägers lässt sich nicht aus den Hinweisen der Beklagten in ihren AGB ableiten. Zwar heißt es dort, dass die Teilnahme an den Spielen nur in Ländern möglich sei, in denen die Spiele nicht gesetzlich untersagt seien, und dass es in der alleinigen Verantwortung des Nutzers liege, den Rechtsstatus von Internet-Spielen im Land seines Wohnsitzes zu bestimmen und sich entsprechend zu verhalten sowie dass die Beklagte ihr Geschäft in Übereinstimmung mit den Gesetzen von Malta betreibe und über eine Lizenz in Malta verfüge. Darin ist aber gerade kein hinreichend deutlicher Hinweis darauf enthalten, dass die Spiele in Deutschland (außer möglicherweise in
Schleswig-Holstein) verboten waren. Es erscheint durchaus plausibel, dass der Kläger – wie dargelegt – von einer auch in Deutschland gültigen Lizenz der Beklagten ausgegangen ist. Dass er sich nicht eingehend mit der rechtlich komplexen Rechtslage in Deutschland beschäftigt hat, vermag einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die erforderliche Sorgfalt nicht zu begründen.
101 (b) Dass die Frage der Legalität des Online-Glücksspiels in den deutschen Medien seit Jahren breit diskutiert worden ist und sich im Internet zahlreiche, über Suchmaschinen wie etwa Google ohne Weiteres auffindbare Beiträge zu dieser Thematik gefunden haben, vermag eine Leichtfertigkeit ebenfalls nicht zu begründen. Es ist bereits unklar, woraus die Beklagte ableiten will, dass dem Kläger solche Berichte bekannt gewesen sind. Kannte er sie aber nicht – was von ihm geltend gemacht wird -, scheidet Leichtfertigkeit aus. Aus dem Vortrag der Beklagten ergibt sich jedenfalls nicht, dass dieses Thema einen allzu breiten Raum in der Presseberichterstattung eingenommen hat, dies also
wie etwa der „Dieselabgasskandal“ ein allgemein diskutiertes Thema gewesen sein soll, das dem Kläger bei lebensnaher Betrachtung praktisch nicht entgangen sein kann. Dies lässt sich insbesondere der Anlage B 6 mit den dort aufgelisteten Artikeln nicht entnehmen. Im Übrigen werden genaue Inhalte der Artikel nicht referiert.
102 Der Hinweis der Beklagten, bei Suchanfragen wie „online casino“ habe Google seinerzeit als Vervollständigung der Suchanfrage „online casino legal“ vorgeschlagen, verfängt ebenfalls nicht. Zum einen impliziert die Vervollständigung durch das Wort „legal“ gerade
keine Illegalität, zum anderen lässt sich hieraus nicht schließen, dass der Kläger eine entsprechende Suchanfrage tatsächlich durchgeführt hat, auch wenn ihm eine entsprechende Auswahl durch die Suchmaschine angezeigt worden sein sollte.
103 (c) Schließlich lässt sich aus dem Umstand, dass der Kläger glücksspielerfahren gewesen sein mag, kein Rückschluss darauf ziehen, dass sich ihm die Illegalität des Angebots der Beklagten in Baden-Württemberg hätte aufdrängen müssen. Auch das Gegenteil könnte der Fall sein.
104 (d) Hinzu kommt, dass sich die Beklagte selbst auf den Standpunkt stellt, ihr Angebot sei nicht verboten gewesen. Im Schriftsatz vom 18.06.2021 trägt sie vor, sie lasse die Gesetzes- und Rechtslage seit vielen Jahren anwaltlich und durch Rechtsprofessoren prüfen. Die eingeholten Stellungnahmen bescheinigten ihr, dass das „Internetverbot“ EU-rechtswidrig sei und somit kein Verstoß gegen deutsche Gesetze vorliege (AS I 160). Weiter führt sie in der Berufungsbegründung aus, das Internetverbot sei europarechtswidrig gewesen. Wenn aber die Beklagte in Kenntnis der gesetzlichen Regelungen und der einschlägigen Rechtsprechung bis heute auf dem – wie dargelegt unzutreffenden –
Standpunkt steht, ihr Angebot sei nicht illegal gewesen, kann dem Kläger als rechtlichen Laien nicht vorgeworfen werden, ihm habe sich die Illegalität des Angebots der Beklagten geradezu aufdrängen müssen.
105 cc) Ob § 817 Satz 2 BGB in der vorliegenden Konstellation darüber hinaus teleologisch zu reduzieren wäre, kann demgemäß dahinstehen (vgl. hierzu etwa OLG Dresden, Urteil vom 27.10.2022 – 10 U 736/22, Rn. 57 ff., juris).
106 e) § 762 BGB steht der Rückforderung nicht entgegen, denn diese Vorschrift greift nur ein, wenn ein wirksamer Vertrag vorliegt. Ist der Vertrag nichtig, bleibt es bei den allgemeinen Regeln (BeckOK BGB/Janoschek, BGB, Stand: 01.11.2022, § 762 Rn. 18).
107 f) Der Rückzahlungsanspruch des Klägers ist nicht nach § 242 BGB ausgeschlossen.
108 Es fehlt bereits an einem schützenswerten Vertrauen auf Seiten der Beklagten, denn sie hat selbst gesetzeswidrig gehandelt. Indem die Beklagte auf ihrer in deutscher Sprache verfassten Angebotsseite einen ihr ohne weiteres möglichen Hinweis unterlassen hat,
dass die Online-Glücksspiele in Deutschland (zumindest weit überwiegend) nicht zulässig waren, ist sie zum einen bewusst das Risiko eingegangen, Gelder ohne Rechtsgrund einzunehmen. Zum anderen hat der Kläger für die von ihm geleisteten Spieleinsätze keine
einklagbaren Forderungen erhalten, so dass es nicht treuwidrig erscheint, die Spieleinsätze zurückzufordern (OLG Köln, Urteil vom 31.10.2022 – 19 U 51/22, Rn. 72, juris). Dass das Behalten von Geldern, die die Beklagte durch die rechtswidrige Veranstaltung von Online-Glücksspielen eingenommen hat, besonders schutzwürdig wäre, ist gleichfalls nicht ersichtlich.
109 Aus diesen Gründen liegt auch keine unzulässige Rechtsausübung des Klägers vor. Eine Rechtsausübung kann unzulässig sein, wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick hierauf vorrangig schutzwürdig erscheinen (BGH, Urteil vom 10.01.2019 – IX ZR 89/18, Rn. 25, juris). Eine vorrangige Schutzwürdigkeit der Beklagten ist aber wie dargelegt gerade zu verneinen.
110 g) Der Höhe nach beläuft sich der Anspruch (jedenfalls) auf die vom Kläger eingezahlten Beträge abzüglich der erhaltenen Ausschüttungen, wovon das Landgericht zutreffend ausgegangen ist.
111 3. In Hinblick darauf, dass die Voraussetzungen des § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB vorliegen, kann offenbleiben, ob sich der Anspruch auch aus § 817 Satz 1 BGB ergibt.
112 4. Es kann nach all dem ebenfalls dahinstehen, ob sich der Anspruch des Klägers auch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 284 StGB und § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 ergeben würde.
113 5. Der Zinsanspruch begründet sich aus den §§ 286 Abs. 1 Satz 2, 288 Abs. 1 BGB.

III.
114 Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
115 Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

IV.
116 Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht vorliegen.
117 a) Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO.
118 aa) Grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Norm kommt einer Rechtssache dann zu, wenn eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, die klärungsbedürftig, klärungsfähig und entscheidungserheblich ist und das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (st. Rspr. vgl. nur BGH, Beschluss vom 04.07.2002 – V ZR 75/02, Rn. 5, juris). Dies kann zum einen der Fall sein, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die nicht nur entscheidungserheblich, klärungsbedürftig und klärungsfähig ist, sondern darüber hinaus auch in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen auftreten kann.
119 Zum anderen kann einer Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn es zwar nicht um die Klärung einer für eine Vielzahl von Fällen bedeutsamen Rechtsfrage geht, aber andere Auswirkungen des Rechtsstreits auf die Allgemeinheit deren Interessen in besonderem Maße berühren und ein Tätigwerden des Revisionsgerichts erforderlich machen. Dies kann sich insbesondere aus dem tatsächlichen oder wirtschaftlichen Gewicht der Sache für den Rechtsverkehr ergeben (BGH, Beschluss vom 01.10.2002 – XI ZR 71/02, Rn. 26 ff., juris).
120 bb) Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtsfrage nicht zu, wenn sie zwar vom Bundesgerichtshof bislang noch nicht entschieden worden ist, in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte aber einhellig beantwortet wird und die hierzu in der Literatur vertretenen abweichenden Meinungen vereinzelt geblieben sind (BGH, Beschluss vom 24.05.2022 – XI ZR 390/21, Rn. 6, juris). Eine Rechtsfrage, die Übergangsrecht oder auslaufendes Recht betrifft, hat in aller Regel keine grundsätzliche Bedeutung (BGH, Beschluss vom 12.11.2002 – XI ZB 15/02, Rn. 3, juris).
121 cc) Gemessen daran hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung (a.A. OLG Braunschweig, Urteil vom 23.02.2023 – 9 U 3/22, Rn. 160 ff., juris). Die europarechtlichen Fragen sind höchstrichterlich geklärt. Die zentrale Frage, ob ein Verstoß gegen § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 die Nichtigkeitsfolge des § 134 BGB nach sich zieht, ist vom Bundesgerichtshof zwar noch nicht entschieden worden, die hierzu ergangene obergerichtliche Rechtsprechung ist aber einheitlich, abweichende Literaturmeinungen sind vereinzelt geblieben.
122 Des Weiteren handelt es sich bei § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 um auslaufendes Recht, da zwischenzeitlich der GlüStV 2021 in Kraft getreten ist, der das umfassende „Internetverbot“ für Online-Casinospiele nicht mehr enthält. Diese sind nunmehr vielmehr nach § 4 Abs. 4 GlüStV 2021 grundsätzlich erlaubnisfähig. Hieran ändert es auch nichts, dass vereinzelt Fragen aufgeworfen worden sind, die den GlüStV 2021 betreffen.
123 b) Die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert die Zulassung der Revision ebenfalls nicht, denn die entscheidungserheblichen Rechtsfragen sind geklärt und der Senat folgt der bislang ergangenen obergerichtlichen
Rechtsprechung, § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO.

 

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